
…noch ins Theater oder in Konzerte gehen. Auch gerecht. Denn so erhalten die Zu-Hause-Bleiber einen finanziellen Ausgleich dafür, dass der Staat Kulturveranstaltungen subventioniert, die andere dann nutzen. Jeder hat dann die Wahl: Geld oder Bildung?
Ein Scherz, meinen Sie? Das könne doch wohl nicht wahr sein? Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, liebe Mitbürgerin und lieber Mitbürger. Aber: Die Bundesregierung will an der Einführung des so genannten Betreuungsgeldes festhalten – obwohl es genauso funktioniert und genauso unsinnig ist, wie es eine Anti-Bus-und-Bahn- oder eine Lieber-ohne-Kultur-Prämie wäre. Und unsere Landesregierung unterstützt diesen falschen Kurs.
Das sogenannte Betreuungsgeld – auch Fernhalteprämie genannt– sollen Familien erhalten, die ihr Kind nicht in eine Kita schicken. Es soll zunächst 100 Euro monatlich für jedes Kind unter drei Jahren betragen, ab 2014 sogar 150 Euro. Das ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Und so soll es jetzt durchgezogen werden. Trotz Kritik nicht nur aus Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialverbänden, sondern auch aus den eigenen Reihen.
Wir Sozialdemokraten lehnen diese Prämie ab. Sie schafft gerade für ärmere Eltern Anreize, ihr Kind nicht in eine Kita zu geben. Dabei ist die Betreuung in einem Kindergarten eine besonders gute Möglichkeit, ein Kind früh zu fördern. Besonders Jungen und Mädchen aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien profitieren von der Kita-Betreuung mit ihren guten Bildungsangeboten. Das ist nachgewiesen.
Die zweite schädliche Wirkung betrifft die Wirtschaft: Das Betreuungsgeld macht den Wiedereinstieg in den Beruf für Mütter unattraktiver. Damit fehlen zum einen Fachkräfte; zum anderen haben diese Frauen später ein besonders großes Risiko, von Armut betroffen zu sein.
Drittens: Das Geld, das für das Betreuungsgeld ausgegeben werden soll, fehlt für den dringend benötigten Ausbau der Kita-Plätze. Ab 2013 gibt es einen Rechtsanspruch für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr. Zurzeit steht nur für rund ein Viertel aller Kinder unter drei Jahren ein solcher Platz zur Verfügung.
Die Kosten für das Betreuungsgeld sind nicht kalkulierbar. Während die Bundesregierung von 400 Millionen Euro für 2013 und 1,2 Milliarden für 2014 ausgeht, veranschlagen Experten des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung sogar schon für 2013 rund 1,9 Milliarden Euro. Ein Vergleich: 200.000 Euro pro Jahr soll die Prämie allein für Niedersachsen kosten. Neue Kita-Plätze im Land fördert Berlin aber nur mit 130.000 Euro. Motto offenbar: Wenig Geld für Bildung – aber viel Geld für wenig Bildung.
Die Diskussion um das Betreuungsgeld wird noch etwas anhalten, liebe Leserinnen und Leser. Hoffen wir, dass sich am Ende doch die Vernünftigen durchsetzen. Denn sonst könnte das Muster Schule machen. Und dann fordert irgendwann wirklich jemand eine Anti-Bahn- und eine Ohne-Kultur-Prämie.
Ihr Ralf Borngräber